Berlin, Deutschland (Gastrosofie). Für einen Schweizer – der Autor dieser Zeilen – grenzt es schon fast an Vaterlandsverrat, einen lobenden Artikel über einen italienischen Käse zu schreiben. Und das das Fondue – die Heilige Kuh der Schweizer Kulinarik, gewissermaßen – ursprünglich aus Italien stammen dürfte, sollte man als Schweizer in der Schweiz besser nicht erwähnen. So weit so gut: Also unternahm ich eine sehr Exkursion in die Provinz Belluno in der Region Venetien, nördlich der Lagunenstadt. Hier verändert sich die Landschaft ganz plötzlich und ziemlich dramatisch: Nach der hitzeflimmernden norditalienischen Ebene, von einigen namhaften Flüssen wie dem Po und dem Piave durchzogen, steigt das Relief jäh an – zu den Dolomiten. Eine Landschaft von Schönheit und Kraft. Und diese Kraft findet sich findet sich auch in dem Käse, der aus den saftigen Matten am Fuß der theatralischen Felskulisse kommt.
Denn hier, in den Alpen, den Dolomiten der Provinz Belluno, benannt nach dem Fluß Piave, wird ein Käse gemacht, der dem Schweizer Käse aber auch dem legendären Parmesan in nichts nachsteht. Der Piave entspringt im Herzen der Dolomiten, auf dem Berg Peralba und durchfließt die gesamte Zone, in welcher die Milchwirtschaft für die Herstellung des „Piave“-Käses betrieben wird und wo sich auch die Produktionsanlagen befinden. Das macht diesen Käse einzigartig.
Die Marke heiß schlicht: „Piave“. Und jeweils hinzuzufügen die drei ominösen Lettern „DOP“ – bedeutet: „Denominazione di origine protetta“, also geschützte Herkunftsbezeichnung. „Piave“ informiert unter der Website www.nicetoeat.eu. „DOP“ ist ein von der Europäischen Union anerkanntes Gütesiegel – also die höchste Anerkennung der EU für ein hochwertiges Lebensmittelprodukt – über welches die Marke „Piave“ nunmehr seit 2010 verfügt. Damit steht sie auf der gleichen Anerkennungs-Ebene wie Parma-Schinken und Grana-Käse. Italien produziert übrigens europaweit die meisten DOP-Produkte. Das Gütesiegel „DOP“ soll vor Missbrauch, Imitationen und unlauterer Konkurrenz schützen und gleichzeitig das Produkt auf internationaler Ebene fördern und vermarkten, aber auch Bekanntheit und Wettbewerbsfähigkeit der Marke zu stärken.
Deren Richtlinien fordern, dass ein Produkt ausschließlich in einem bestimmten Gebiet erzeugt werden darf. Das ist beim „Piave“ – Käse der Fall. Jede Phase – Viehzucht, Melken der Kühe, Käseproduktion und Reifung findet – ausschliesslich in der Provinz Belluno statt. Mindestens 80 Prozent der Mich, die für diesen Käse Verwendung findet, kommt gemäß DOP-Regeln von regional gezüchteten Kühen der Rassen „Bruna Italiana“ (Italienisches Braunvieh) – „Pezzata Rossa Italiana“ (Italienisches Fleckvieh) und „Frisona Italiana“ (Italienisches Holsteinrind).
Um doch noch auf das Thema Schweiz zurückzukommen: Die Rasse der „Bruna“ soll ursprünglich tatsächlich aus der Schweiz stammen. In der Ostschweiz sind ausschließlich diese braunen Kühe anzutreffen – im Gegensatz insbesondere zu den charakteristischen, schwarzweiß gefleckten Kühen der Fribourg-Region, wo der Käse auch eine ganz andere Konsistenz hat. Mehr noch: uns wird erklärt, dass der Milchertrag der „Bruna“ zwar geringer, die Qualität der Milch aber deutlich besser sei. Dass die Milch dieser Kühe verwendet wird, ist für mich ein unbestreitbares Plus: Den „Piave“-Produzenten geht es um Qualität, nicht um Quantität… Pro Jahr verlassen 350 000 Käselaibe die Fabrik, der „Piave“ wird in 28 Länder exportiert; Hauptkonsument bleibt allerdings Italien, namentlich die Provinz Venetien, gefolgt von den norditalienischen Provinzen Lombardei, Trient und Südtirol.
Ich ließ es mir, beim Besuch auf der Alm, auf 1300 Metern Höhe, wo diese Kühe liebevoll und weniger als Nutzvieh sondern wie Haustiere in traditionellen Ställen gehalten und mit duftendem Heu von den Alpen (ergänzt durch Getreide, Gras- und Maissillage) gefüttert werden, nicht nehmen, mir vom freundlichen Senn (wieder mal gut, wenn man perfekt Italienisch spricht…) ein Glas kuhfrische, pasteurisierte Milch einschenken zu lassen: Das war eine köstliche Rarität denn wo gibt es sowas denn noch! Unpasteurisierte, frische Milch! Rahmig, und mit einem dezenten Aroma nach Alpenkräutern. Schon klar, dass die später im Käse verwendete Milch pasteurisiert und gemäss strikte angewendeten Hygienekriterien transportiert und abgefüllt wird. Aber – ein Glas frische Milch auf der Alm, die Dolomiten im Hintergrund: Das ist schon ein unvergessliches Erlebnis für einen Stadtmenschen!
Beeindruckend das Melken der Kühe – diese wissen genau, wann und wo, und sie stellen sich denn auch behäbig aber bereitwillig genau an den ihnen zugewiesenen Platz. Hier können wir auch die traditionelle Käseherstellung durch den Senn mitverfolgen – romantisch verglichen mit dem vollautomatisierten Produktionsprozess, den wir dann später in der vollautomatisierten „Piave“-Fabrik in der Ortschaft Busche mitverfolgen können… Das ist die Stärke dieser Marke: Sie vereint Tradition und Innovation.
Die Degustation überzeugt: Der Kuhmilch-Hartkäse „Piave“ wird in fünf Reifegraden auf den Markt gebracht: „Fresco“ (20 bis 60 Tage Reifezeit), „Mezzano“ (61 bis 180 Tage), „Vecchio“ (über sechs Monate), „Vecchio Selezone Oro“ – Gold-Auswahl, „Vecchio Riserva“. Meine Lieblings-Sorte ist zweifellos die nussig schmeckende „Goldselektion“; aber die „Reserve“ ist besonders attraktiv gerieben über Pasta oder zum weißen Süsswein, am liebsten italienischem „Vino Santo“, am Ende der Mahlzeit. Köstlich!