Catanzaro, Kalabrien, Italien (Gastrosofie). Als „Enotria“, als ‚Weinland’ wurde das Gebiet ganz im Süden der italienischen Halbinsel bezeichnet. Die Lehrer Lampe nannten es ‚Stiefel’, sie streiften ihn schnell ab, und vom Schaft bis runter zur Spitze war von Reben nicht die Rede. Obwohl, vor einem halben Jahrhundert herrschte hier Bacchus über vier mal so viel Hektar – 50 000 sagt die Statistik – wie heute. Damals, in den 1960ern, kamen auch Kalabresen zu uns, die ihr Auskommen mit Pizza und Pasta fanden. Ihre heimischen Gewächse blieben aber, fast immer, im Fasslager der Erinnerung zurück.
Eine Revolution, die allen schmeckt
Nun wird es Zeit diese verborgenen Schätze wieder zu entdecken. Außer dem beliebten Librandi gibt es kaum Winzer in Kalabrien mit großem Namen. Gleiches gilt bei Rebsorten und Anbaugebiete, wo für Cirò als einzige es bis in den Discounter reichte. Arm das Land, karg seine Böden, sengend die Hitze – das ruft, das riecht nach Revolution. Die Revolution schmeckt, nicht nur die tiefrote. „Cirò Revolution“ sind die „Cirò Boys“ wie sie sich auch nennen – wo bleiben die Girls, fragt man sich. Bescheiden im Hintergrund? Bei ‘A Vita ist Sie teil der Vita, Donna Laura Violino und Francesco Maria De Franco, ein Quereinsteiger mit Passion. Meist verweisen die Winzer mit kleinen Betrieben stolz auf ihre Familientradition. Aber auf wie viele Generationen sie auch zurückblicken mögen, von ihnen erzeugte Weine sind wesentlich älter. Greco Bianco und der rote Gaglioppo sind uralte autochthone Sorten, wie gemacht für diese ausgedörrte Gegend. Logisch biologisch die Weine, schon immer. Sie liegen im Trend wie die Ursprünglichen nur-von-hier –der mineralische leichte Weiße mehr als der kräftige dunkle Rote. Interessant auch mancher Rosato mit für mich apart salziger Note. Beim Tasting wird gestenreich erzählt wie erklärt. Man spürt die Begeisterung der Jungen für ihre Sache mit jedem Schluck und mit dem Einblick in ihr Rebenwerk dort draußen danach.
Der „kalte Weg“ in heißer Gegend
Von den Revolutionären geht es zu den Senatoren. Senatore Vini ist ein Paradebeispiel für ein italienisches Familienunternehmen. Statti, Lento, Ippolito, Librandi, die Liste ist lang auch hierzulande. Die Familiengeschichten beziehen den Gast ein in das Geschehen, bald schon fühlt er sich zugehörig, sieht das Weingut mit anderen Augen, achtet auf die Insignien der Epochen und die Trophäen des Erfolgs. Ururgroßvater Francesco, Urgroßvater Antonio und sein Bruder Raffaele – ihre erste, kleine Kellerei in Corfù Vecchiu, ihre größere in Corfù Novu, Geschäftssitz für ein halbes Jahrhundert. Die Söhne Giuseppe, Franco, Raffaele und Salvatore, deren Söhne Antonio, Emilio, Andrea und Vito, nun Winzer in San Lorenzo bei Cirò Marina. Vier Lagen, etwa 30 Hektar, alle im DOP Cirò wobei mancherlei Weine eher ein auch gern gesehenes IGT-Siegel ziert. Zwei Drittel Weiße, ein Drittel Rote. Bei weißen Trauben ist der kalte Weg vorgezeichnet, so bei Greco Bianco oder den Gaglioppo-Reben für Rosato, bei roten Trauben der traditionelle Weg. Ein wenig verwirrend für Laien, wo doch alle Trauben nach der Ernte erst nachts in der Kälte des Kellers lagern, und der Unterschied dann darin besteht, mit welcher Intensität die Frucht zerdrückt oder bei den Roten aufgeweicht wird. Nun, der Laie erfreut sich doch eher an der Intensität des Geschmacks. Und wie steht es um Senatorinnen? Gibt’s, im Cirò und in Rom.
Rüstiger Rentner rettet Rebensaft
Seine Passion gehört dem Moscato passito di Saracena. 35 Jahre blieb Luigi Viola Lehrer bevor er die Tradition seiner Familie im ländlichen Städtchen Saracena aufgriff und Winzer wurde. Seine Frau Margherita, seine Söhne Roberto, Alessandro und Claudio hat er mit der Leidenschaft für alte und autochthone Gewächse angesteckt. Guarnaccia, Malvasia, Moscatello, Magliocco dolce, Mantonico – auch sie sind im gewissen Sinne seine Kinder. Und Adduroca, wohl die süßeste und seltenste der kleinen Trauben. Bernsteinfarben der Nektar, als Geschmackskomponenten beim Moscato passito notiere ich Honig und getrocknete Feigen und exotische Früchte. Lange lauschen wir Luigi wie er mit Lust und Liebe von seinen Weinen erzählt. Bis wir uns auf nach Saracena machen, zu Maurizio Bisconte im verwunschenen Weinkabinett Feudo Dei Sanseverino. Maurizio ist wahrlich eine Ausgeburt an Wissenswertem und weinsinniger Weisheit, und ein Gang durch seine kleine Welt ist ein sakrales Raumerlebnis schon wegen gut platzierter Heiligenfiguren. Geborgenheit wird vermittelt, und die kredenzten traditionsreichen Tropfen tragen dazu bei.
Terre del Gufo, die Weine der Eule
Guiseppe Muzzillo liebte es Ende des Sommers Gäste einzuladen, Freunde des Hauses, und zum leckeren Braten gab es seine Weine. Guiseppe, genannt il Gufo, die Eule. Alle Weine auf der Tafel des Architekten mundeten so gut dass er zum Vollzeit-Winzer wurde. Unter dem Schwung der Dachlandschaft, welche den Schwung der umgebenden Hügel aufgreift, probieren wir Terra di Cosenza DOP. Besonders angetan sind wir vom Magliocco der oft mit Gaglioppo verwechselt wird. Lautsprachlich. Orange der erste, Purpur der zweite, und natürlich macht nicht nur die Farbe den Unterschied. Mein Notizblock verzeichnet beim Tasting den Geschmack wilder Waldbeeren. In höheren Lagen ist meistens erst Anfang November Erntezeit, erzählt uns il Gufo – mit einem Blinzeln wie es scheint. Ja, wir kommen wieder. Kalabrien ist ein Land voller wunderbarer Begegnungen mit erstaunlichen Menschen.
Anmerkung:
Vorstehender Beitrag von Christoph Merten wurde im WELTEXPRESS am 28.11.2016 erstveröffentlicht.