Berlin, Deutschland (Gastrosofie). Im „Pincho Nation“ ist der Gast viel mehr als ein König, hier macht man für ihn wahre Verrenkungen. Sogar schon draußen vor dem Eingang zu dem Restaurant, es befindet sich in bester Lage, in der Meinekestraße nahe dem Berliner Kudamm.
Eine bunt kostümierte Dame streckt das Bein zur Seite und verzieht dabei den Mund zu einer Grimasse. „Ich kann nicht mehr“, stöhnt sie nach einer gefühlten Stunde, die wohl tatsächlich wenige Sekunde dauert. Man kann es ihr nicht verdenken, schließlich steht sie auf Stelzen. Doch sehr schnell wird die Artistin von ihren Leiden erlöst, denn akuter Appetit treibt den hungrigen Besucher in das Lokal, zu dessen Eröffnung er eingeladen war.
Drinnen erwartet ihn zur Begrüßung ein knallroter Begrüßungsdrink, Wodka mit Erdbeere, sowie kunterbunte Zirkus-Atmosphäre. Doch statt Dompteure, Clowns und Akrobaten gibt es diverse kleine Gerichte im Tapas-Stil. Völlig international, von Fish and Chips über Quesadillas bis hin zu Dim Sum und Edamame. Speisekarte? Kellner? Hier nicht, jedenfalls nicht im klassischen Sinne. Stattdessen gilt es, das Handy zu zücken und die lokaleigene App herunterzuladen, sofern das nicht bereits passiert ist. Ganz unten dann das eigentliche Menü mit den Rubriken Getränke, Speisen, Bestellen, Bezahlen. Bequem und übersichtlich.
Ob „Fizzy Bubblizz“, wie der quietschbunte Cocktail sich nennt, oder die „Meeresfrüchte Paella“, ob Pils vom Fass oder Pommes mit Ketchup, alles ist mit einem entsprechenden Foto versehen. Dann einfach auf das grüne Plus daneben tippen, einmal oder mehrfach, schon erscheint die Anzahl der bestellten Speisen. Sind acht Cheeseburger vielleicht doch etwas viel? Kein Problem, die Anzahl lässt sich mit roten Minus links im Bild beliebig reduzieren. Bezahlt wird ebenfalls per App. Zuhause kann man mit der App übrigens auch Plätze reservieren.
Ist die Bestellung bearbeitet, erscheint auf dem Handy eine Nachricht. Dann ab zur Bar oder Küche, im „Pincho Nation“ herrscht Selbstbedienung. Auf einem schmalen Holzbrett balanciert man die Speisen dann zum Tisch. Etwas wackelig, das Ganze. Vielleicht hätte man die „Tabletts“ entsprechend präparieren können, um die Abrutschgefahr zu verhindern. Zum Glück geht es glatt. Ansonsten stimmt alles. Durchweg tadellos die Speisen, äußerst fair das Preis-Leistungsverhältnis. Das Fleisch beim „Steak a la Pinchos“ etwa ist zart und medium-rare gebraten. Duchesse-Kartoffeln und Chilisoße dienen als Beilage. Keine fünf Euro kostet das, wie auch sämtliche sonstigen Gerichte. An diesem Abend kommen während der Wartezeit freundliche, dienstbare Geister im Roncalli-Look an die Tische, jonglieren, machen Faxen oder Zaubertricks. Eine permanente Dinnershow findet so im „Pincho Nation“ statt, nur viel minimaler und preiswerter als Pomp, Duck und Co.
Pinchos, auf Deutsch „Spieße“, stammen aus dem Baskenland und sind etwas aufwendiger als die übliche, mitunter recht bucklige Tapas-Verwandtschaft. Die Lokale sind übrigens nicht in Spanien, sondern im hohen Norden beheimatet. In Schweden, dem Gründungsland, gibt es inzwischen über 60 Filialen. Nach Finnland, Norwegen und Dänemark wagt man nun den Sprung von Skandinavien nach Deutschland. Das Konzept dürfte vor allem jungen Leuten, aber auch Familien mit kleinen Kindern gefallen, obwohl vor allem Frauen bis etwa 35 die Zielgruppe sind. Wie auch immer, es könnte auch hierzulande funktionieren. Wo sonst eilen Servicekräfte ohne besonderes Zutun sofort zum Tisch, wenn beim Bestellen irgendwo der Schuh drückt? Einfach die Serviette mit der entsprechenden Seite auf den Tisch legen. Rot mit „Help“ oder Grün mit „Happy“. Wenn das Handy nicht genug Saft hat, steht eine Power-Bank bereit. Und wenn man das Handy gar vergessen hat? Dann helfen die dienstbaren Geister gerne mit einem Tablet aus. Für den Gast macht man eben wahre Verrenkungen.