Belgrad, Serbien (Gastrosofie). Flach wie ein Brett wirkt die Landschaft, wenn man die serbische Hauptstadt Richtung Nordosten verlässt, um nach Vrsac, einer kleineren Stadt nahe der rumänischen Grenze zu gelangen. Typisch für die Wojwodina, die nördlichste Provinz des Landes. Steht man auf einem Kürbis, kann man bis Wien sehen, scherzt man hier gerne. Die Straße, auf die der Kleinbus die pannonische Tiefebene durchquert, ist schnurgerade und auffallend breit. Gigantische Äcker und Felder ziehen an einem vorbei, über die sich ein diesiger Himmel wölbt.
Hier, in der Kornkammer Serbiens, gedeihen neben Weizen, Roggen auch Pflaumen, aus denen der berühmte Slivovitz hergestellt wird, sowie Kirschen oder Wassermelonen. Und der landesweit berühmte Futog Kohl, benannt nach dem gleichnamigen Ort bei Novi Sad. Er gilt als gesunder und schmackhafter „Allrounder“, vor allem „für Gerichte, die wir gerne zuhause essen“, sagt Reiseleiterin Simonida Popov Dihovicni. Gerichte, wie sie ihre Mutter gekocht hatte; Gerichte, die viel Zeit brauchen. Etwa Podvarak aus geschmortem Kohl mit Fleisch, Zwiebeln, Reis, und gemahlenem Paprika, ähnlich dem polnischen Bigos. Oder Sarma, Kohlroulade mit einer Füllung aus Hackfleich und Reis, eine typische Winterspezialität.
Doch an diesem Abend steht in Vrsac „Teletina ispod saca“ auf dem Programm, Kalbfleisch, lange gegart in einem Tontopf, der mit glühender Kohle bedeckt wurde. Die Portion ist gewaltig, der Kellner bringt einen Berg nicht allzu mageres Fleisch mit Kartoffeln auf einem gewaltigen irdenen Teller. Willkommen im „Dinar“, einem der „Etnokuca“-Restaurants, die landestypische Speisen servieren.
Zünftig, zünftiger, Dinar. Düstere Gewölbe, wie geschaffen als Kulisse für einen Historienfilm, vollgestopft mit Folklore. Dunkles Holz überall, ob Mobiliar, ob die Wände im Blockhüttenstiel, an denen Wagenräder und gewaltige Holzlöffel hängen. Alte Registrierkassen rosten in einer Ecke, lebensgroße Holzfiguren mit Trachten stehen in den Gängen, als Lampenschirme dienen geflochtene Körbe, selbst die Speisekarte ist auf einem auf schwerem Holzbrett befestigt. Dagegen wirkt selbst das Hofbräuhaus minimalistisch. So volkstümlich wie das Dekor sind auch die Speisen.
Es ist genau diese Art Küche, die Vanja Puskar ein wenig nervt. Serbien stehe vor allem für deftige, schwere Kost, sagt er, für große Portionen, für Berge von Fleisch. So war das schon immer, und so wird es auch bleiben, befürchtet der Gastronom. „Diese Küche stagniert seit Jahrzehnten“, seufzt er. Er setzt auf eine innovative Regionalküche, so etwas wie die „New Nordic Cuisine“, möchte so traditionelle Gerichte in die Moderne katapultieren. Sie sollen den heutigen Erwartungen entsprechen, ohne aber den eigentlichen Charakter zu verlieren. Essen sei schließlich ein wesentlicher Teil der Kultur eines Landes. In seinem Restaurant „Iris“ in Belgrad kredenzt er seit 2016 seine „New Balkan Cuisine“. Ja, Balkan statt Serbien. Denn eine landestypische Küche existiere eigentlich gar nicht, so der gebürtige Bosnier. Hat doch die bewegte Geschichte des Landes für diverse Einflüsse gesorgt, ob aus Österreich, ob aus dem Orient.
So wagt auch Vanja Puskar, wie viele andere junge Kollegen weltweit, einen Spagat. Dabei steht immer das Produkt im Vordergrund, das auch er weiterentwickeln will, aus dem er neue, kreative Gerichte zaubern möchte.
Die Zutaten kommen fast alle aus der näheren Umgebung. Milch, Butter, Joghurt und Weichkäse etwa bezieht der 32-Jährige, ein klassischer Hipster mit Vollbart, von einem Hof mit Molkerei und Viehzucht in Veliko Središte, einem Dorfnahe Vrsac. Biologische Produkte seien aber noch die Ausnahme, zu teuer für die kleinen Höfe. „Bio ist noch schwierig in Serbien“, sagt er. Gut möglich, dass sich das bald ändert. Gerade junge Leute ziehe es wieder aufs Land, meint der Gastronom, und spricht von einem Trend. Zwar gehören in der Wojwodina noch viele der gewaltigen Flächen einheimischen Agrarkonzernen, aber es gibt zunehmend auch kleinteilige Landwirtschaft. Es sind gerade diese Erzeuger, die kleineren Bauernhöfe, die Vanja Puskar unterstützen möchte. Und es werden immer mehr. Ideen, was sich aus den Zutaten alles machen lässt, lieferten, ausgerechnet, manch alte Dorfbewohner, wie er betont, sie hätten viel Wissen. Die Anregungen greift er auf und modifiziert sie. Dabei hilft ihm auch sicher seine Zeit im inzwischen geschlossenen „Iguana“. Die Belgrader Institution war bekannt für ihre europäisch-asiatisch Fusionsküche. Nur vermisste er dort einheimische Produkte.
Zur Einstimmung auf sein Menü kredenzt er einen Rakija, einen Aprikosenbrand. Herrlich sanft gleitet der Aperitif die Kehle herunter, entfaltet dabei eine intensive Fruchtnote. Eine Scheibe warmes, geröstetes Brot mit karamellisierten Zwiebeln, selbst gebacken, stillt den ersten Hunger. Auf dem Teller liegt noch ein Holzlöffel mit einem Klacks Butter, nicht nur das rustikale Besteck wirkt wie aus der Zeit gefallen. Wie wohl zu Uromas Zeiten, ganz anders als die Industrieerzeugnisse in Deutschland, mundet der weiche Brotaufstrich, neben Salz und reichlich Kräutern macht sich ein intensives Rahmaroma bemerkbar. Gewöhnungsbedürftig dagegen der erste Gang, ein Macaron aus Roter Beete, gefüllt mit einer Pastete aus Lammleber und etwas Hagebuttengelee. Süßlich und streng zugleich irritiert er den Gaumen eher, als dass er ihn verwöhnt. Erneut wird klar, warum schon der einstige Gourmet-Papst Wolfram Siebeck gegen eine Wand gelaufen war, als er versucht hatte, seinen Lesern die Innereien näherzubringen. Wesentlich angenehmer der Burja Bela, den der Inhaber nun dazu kredenzt, ein weißer Cuvée aus Slowenien, salzig-mineralisch, mit einer leichten Fruchtnote aus Marillen und Pfirsich.
Neigt sich das Dinner schon dem Ende zu? Rein optisch jedenfalls erinnert das nächste Gericht an ein verlockendes Dessert aus dem Tresen einer Konditorei, formvollendet rechteckig, oben schimmert eine Glasur. Farbe und Konsistenz deuten auf Schokolade oder Nougat hin. Schnell jedoch entpuppt sich dieses vermeintlich feine Stück Patisserie als eine recht pikante Spezialität. „Busa Terin Lesnik“, kalt serviert. Eine selbst gebackene Brioche, mit zartem Kalbs-Frikassee beschichtet, überzogen mit einer salzigen Karamelglasur. Das Fleisch stammt vom Busa-Rind, einer kleinen, kurzhörnigen Rasse, die nur im Balkan vorkommt. Und auch da eher wenig verbreitet, da sie im Verhältnis zur Größe wenig Fleisch und wenig Milch gibt. In regulären Metzgereien, so Vanja, gebe es das nicht zu kaufen. Das Fleisch sei eher zäh und damit ungeeignet zum Kurzbraten. Fleischig geht es weiter, eine Scheibe Rinderfilet, hauchdünn geschnitten, bestäubt mit Rinderherz-Puder. Darunter verbirgt sich Blumenkohl.
Ein frittiertes Quarkbällchen, mit Kräutern und Salz, warm und sehr gehaltvoll, dient als Beilage. Ein gelungener Gang.
Zwischendurch dann eine lauwarme Mandelsuppe mit etwas Olivenöl. Marzipan-Aroma ohne jegliche Süße, eine interessante Erfahrung. Nicht unbedingt überzuckert, sondern eher erfrischend säuerlich wirkt dann auch das eigentliche Dessert, Pflaume in Tee gekocht mit Eis aus ebendieser Frucht.
Geöffnet ist nur am Mittwoch, Donnerstag und Freitag. Am Sonnabend, so der Inhaber, stürzen sich die meist jungen Genießer dann lieber in das Nachtleben, als stundenlang bei einem Dinner zuzubringen. Die Gäste sitzen in mehreren Zimmern. Dielenboden, hohe Decken, alte Keramiköfen, wäre da nicht die Küche hinter einer großen Glasfront, in der der Inhaber und seine Mitarbeiter vor den Augen der Gästen unermüdlich werkeln, könnte sich der Gast in einer klassischen Altbauwohnung wähnen. Außer Tischen und Stühle gibt es kaum Mobiliar. „Die Besucher können sich so ganz auf das Essen konzentrieren“, erläutert der Inhaber den Purismus.
Doch Serbien ist nicht nur das Land der Fleischberge, sondern auch der Süßwasserfische, schon dank der Donau. Im „Saran“, im Belgrader Vorort Zemun, etwa dreht sich alles um die Flussbewohner. „Stammt alles aus der Donau“, versichert die Bedienung, man glaubt es ihr gerne, nur eine Straße trennt das Lokal von dem Fluss. Nach einer bekömmlichen, leicht scharfen Fischsuppe geht es recht deftig weiter. Das Karpfen-Filet, das sich unter einer dicken Schicht karamellisierten Zwiebeln und Backpflaumen verbirgt, ist kaum zu schaffen – ein sehr sättigender Lokalmatador. Zum Abschluss dann noch ein Espresso mit Orasnica, einem gehaltvollen Gebäck aus Eiweiß, Puderzucker und Walnuss.
Nun geht es zurück ins Zentrum. Es dämmert, in den gut besuchten Bars und Kneipen beginnt der Start ins Nachtleben, für das Belgrad inzwischen internatioanl berühmt ist. In einer Jazzkneipe strömt das Bier nur so, die lokale Brauerei „Kabinet Brewery“ hat zu einer Verkostung eingeladen. Dazu gibt es Snacks, unter anderem Kaymak, eine landestypische Spezialität, eine Art Rahm, sehr fettig, salzig und recht streng. Weniger traditionell die brauereieigene „Pivolada“, eine Art Gelee aus hellem Bier, Äpfeln und Gewürzen. Darauf ein kühles Blondes. „Shatsi“ steht auf einem der originell gestalteten Etiketten. Die Aufforderung auf der Rückseite ist jedenfalls unmissverständlich: „Drink me and be my Schatzi, Baby“. Na denn Prost. Oder, auf Serbisch, Ziveli.
Fotoreportage
Mehr Bilder zum Beitrag in der Fotoreportage Jenseits der Fleischberge von Fritz Hermann Köser.
Unterstützungshinweis
Unterstützt wurde die Recherche von der Nationalen Tourismusorganisation Serbien.