Berlin, Deutschland (Gastrosofie). Weinanbau in Werder an der Havel, das im heutigen Bundesstaat Brandenburg liegt, hat eine lange Tradition und geht bis ins 12. Jahrhundert zurück. Damals gehörte die Mark Brandenburg noch zum Deutschen Reich, das als Heiliges Römisches Reich bezeichnet wird. Die Mark Brandenburg, kurz Mark genannt, dehnte sich südlich von Pommern weit über die Oder nach Osten hinaus.

Weinbau Lindicke in Werder. © Foto/ BU: Klaus-Dieter Richter, Ort und Datum der Aufnahme: Werder an der Havel, 3.5.2024

Berge in Brandenburg

Heute ist an der Oder Ende im Gelände und nach oben bei 201,4 Metern Schluß. Nach der Heidehöhe kommen noch der Kutschenberg mit 200,7 Metern und der Hagelberg mit 200,2 Metern über die 200-Meter-Marke. Der Werderaner Wachtelberg liegt mit rund 60 Metern deutlich darunter, aber darauf wächst Wein. Nach der politischen Wende übernahmen im Jahr 1996 die Familie Lindicke den bekannten Weinberg Wachtelberg von der Stadt Werder. 2012 pachteten sie einen weiteren Weinberg hinzu, den Galgenberg. Zu den Weinbergen im Raum Werder zählen zudem der Phöbener Wachtelberg und den Königlichen Weinberg Potsdam, aber der Wachtelberg und der Galgenberg sind die beiden Klassiker.

Seit 2012 werden die Reben in der eigenen Kelterei der Weinbau Dr. Manfred Lindicke verarbeitet und somit hat die klassische Weinkultur wieder festen Bestand in der Region.

Frostschäden in einem Weinberg in Werder an der Havel. © Foto/ BU: Klaus-Dieter Richter, Ort und Datum der Aufnahme: Werder an der Havel, 3.5.2024
Weinbau Lindicke in Werder. © Foto/ BU: Klaus-Dieter Richter, Ort und Datum der Aufnahme: Werder an der Havel, 3.5.2024

Weinberge und Rebsorten

Anfang Mai 2024 erörterte Katharina Lindicke, das Problem der drei Nachtfröste mit bis zu 7° Celsius minus im März. Sie meinte, dass das zu dieser Jahreszeit selten vorkäme. Aufgrund des milden frühen Klimas hatten alle Reben in diesem Jahr schon ausgetrieben. Normalerweise treiben sie erst Ende April aus. In der Senke seien beim Müller-Thurgau sehr gravierende Frostschäden von 60 bis 70 % zu beklagen. Im oberen Bergbereich sehe es nicht ganz so schlimm aus, aber es habe trotzdem so ziemlich alle Sorten getroffen, darunter die widerstandsfähige Sorte Saphira. Ausfälle von 10% in der Senke würden oft verzeichnet werden, meinte Frau Lindicke, aber diese Größenordnung sei in diesem Jahr schon etwas Besonderes. Sie hoffe, dass einige Trauben noch nachtreiben würden. Obstbauern haben auf Grund des Frosts, Feuer zwischen den Bäumen gemacht, um schlimmeres zu verhindern, dieses habe trotzdem nicht geholfen. Bei den eng angebauten Weinreben ginge dieses sowieso nicht.

Neben Müller-Thrugau und Saphira gehören noch die Sorten Sauvignac (Calinda), Sauvignac Blanc, Kernling, Dornfelder, Regent, Pinotin, Muscaris und Cabernet Blanc zu denen des Weinbaus Lindicke. Angebaut auf reinen Sandböden überzeugen die Weine durch eine feine, angenehme Säure mit frischen Fruchtaromen. Sie gelten als gute Speisenbegleiter. Davon dürfen sich Gäste in der zum Weinberg gehörenden Straußwirtschaft Weintiene überzeugen.

Werder gehört übrigens zum Weinanbaugebiet Saale-Unstrut, das nach den Flüssen Saale und Unstrut benannt wurde. In dieser Weinbauregion seinen Frostschäden von bis zu 100% zu beklagen, so Katharina Lindicke. Schäden kämen dort häufiger vor, obwohl diese Region südlicher liege, aber sie seinen nicht unbedingt in dieser Größenordnung zu verzeichnen. Der Werderaner Wachtelberg mit seinen Sandböden ist nicht vergleichbar mit den charakteristischen Gesteinsböden der Saale und Unstrut. Das vom Wasser umgebene Werder, die Kernstadt liegt auf einer Insel in der dort 7090 bis 1 400 Meter breiten Havel, hat ein Mikroklima und beim Thema Frost eigentlich immer Glück gehabt. Somit sei Werder noch einiger Maßen glimpflich davongekommen, obwohl der große wirtschaftliche Einschnitt schmerze, merkte Frau Lindicke an.

Die Weinanbaufläche in Brandenburg ist relativ klein im Vergleich zu den großen deutschen Weinregionen. Insgesamt umfasst die Anbaufläche etwa 30 Hektar, davon entfallen auf die Weinberge der Stadt Werder an der Havel zurzeit 10,4 Hektar. Trotz der geringen Größe erfährt der Weinanbau in Brandenburg eine wachsende Bedeutung, wobei sich die Winzer auf Qualität und die besondere Charakteristik der regionalen Weine konzentrieren. Die märkische Sonne lässt sehr gute Traubenqualitäten reifen. Die daraus gekelterten Weine überzeugen bei den Weinproben, erlangen Preise bei Weinprämierungen und haben ihre Stammkundschaft unter den Genießern und Gastronomen gefunden.

Im Jahr 2021 konnten laut amtlicher Statistik auf dieser Rebfläche 1.726 Hektoliter Wein Most geerntet werden. Ein gutes Ergebnis mit einem Ertrag von 54,6 Hektolitern je Hektar. Im Jahr 2018 konnten knapp über 1.400 Hektoliter, 2017 rund 1.200 Hektoliter, 2016 rund 1.500 Hektoliter erreicht werden.

Müller-Thurgau ist die älteste Rebsorte, welche in Werder steht und sie habe laut Lindicke durch den Bekanntheitsgrad auch den größten Bestand. Seit 1999 wird die Rebsorte Saphira auf dem Wachtelberg angebaut. Sie entstammt einer Kreuzung von Arnsburger und Seyve Villard 1-72. „Aufgrund ihrer Traubenqualität und Ertragssicherheit gilt diese Sorte als eine der besten Entdeckungen der letzten Jahre“, erzählte Frau Lindicke und fährt fort: „Sie zeichnet sich durch hohe Pilzresistenz gegen Peronospora (Falscher Mehltau) und eine mittlere Resistenz gegen Oidium (Echter Mehltau auch Erysiphe necator genannt) aus. Als pilzwiderstandsfähige Rebsorte überzeugt sie nicht nur geschmacklich, sie ist auch für die Umwelt und den Winzer eine Wohltat, es werden wesentlich weniger Pflanzenschutzmittel benötigt.“

Weinlese in Werder an der Havel beim Weinbau Lindicke. © Weinbau Dr. Manfred Lindicke, Ort und Datum der Aufnahme: Werder an der Havel, 2011
Die Straußwirtschaft Weintiene in Werder an der Havel. © Weinbau Dr. Manfred Lindicke, Ort der Aufnahme: Werder an der Havel

Weinanbau in Werder an der Havel

Die faszinierende Geschichte vom Weinanbau in Werder an der Havel, beginnt nachweislich im Mittelalter. Die ersten dokumentierten Hinweise auf den Weinanbau in Werder stammen aus dem 12. Jahrhundert. Mönche des Klosters Lehnin sollen hier bereits Wein angebaut haben. Der Weinbau erlebte im 14. Jahrhundert einen Aufschwung. Zu dieser Zeit gab es in Werder bereits mehrere Weinberge. Während der Reformation im 16. Jahrhundert wurden viele kirchliche Ländereien säkularisiert. Dies führte dazu, dass Weinbauern in Werder mehr Land für den Anbau von Reben erhielten. Im 17. Jahrhundert entwickelte sich die Region zu einem wichtigen Weinanbaugebiet in Brandenburg. Der Wein aus Werder wurde sogar am preußischen Königshof geschätzt. Im 18. Jahrhundert erreichte der Weinbau in Werder seinen Höhepunkt. Die Weinberge erstreckten sich über große Teile der Stadt, und der Weinhandel florierte. Mit dem Aufkommen von Kartoffeln im 19. Jahrhundert und anderer Nutzpflanzen wurden viele Weinberge umgewandelt. Der Weinbau erlebte einen Rückgang, jedoch blieben einige Weinberge erhalten. Trotz der Herausforderungen im 20. Jahrhundert, wie den Weltkriegen und den politischen Umwälzungen hat der Weinbau in Werder überlebt.

Ab 1985 wurde auf Initiative der damaligen Gärtnerischen Produktionsgenossenschaft „GPG Obstproduktion Werder“ auf der traditionsreichen Fläche, dem Werderaner Wachtelberg, wieder Weinbau in einer Größe von 4,8 ha betrieben. Obwohl hier seit über 100 Jahren kein erwerbsmäßiger Weinbau mehr verzeichnet wurde, sind bei der Neuanlage dieses Weinbergs vereinzelt alte verwilderte Weinstöcke gefunden worden.

Weiter nördlich wird ebenfalls Weinanbau betrieben wie zum Beispiel in Mecklenburg, Dänemark, Schweden und anderen Regionen aber bei den für Qualitätswein bestimmter Anbaugebiete registrierten Lagen geht es über Werder an der Havel nicht höher hinaus.

Straußwirtschaft Weintiene

Adresse: Wachtelwinkel 30, 14542 Werder an der Havel

Heimatseite: https://weinbau-lindicke.de/strausswirtschaft-weintiene

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