Berlin, Deutschland (Gastrosofie). Im Glas schäumt das Bier, hinter dem Tresen ackert der Barkeeper im Akkord. Der Abend kann beginnen. Vielleicht noch etwas Karaoke? Etwa „99 Luftballons“ von Nena? Ach nee, lieber ein Kneipenquiz. Was wird denn als Zwischengang serviert, will die Barbesitzerin, eine stimmgewaltige Dame mit charmantem englischen Akzent, wissen. Ein Eisblock? Wohl kaum. Sehr puristisch, aber etwas kühl und obendrein geschmacksneutral. Foie Gras mit Diamanten? Eher nicht. Hochwertig, aber nicht wirklich gut für die Kauleisten.

Endlich folgt die Auflösung. So lang, dass man sie sich kaum merken kann. Umso besser mundet das Ganze. Confiertes Filet vom Winterkabeljau. Auf grünem Erbsenpüree. Mit Kartoffel-Trüffelragout, Fenchel und buntem Gemüse-Stroh. Herrlich leicht, herrlich bekömmlich. Der Fisch, sanft gegart, besticht durch Frische und Eigengeschmack, das Erbspüree zeichnet sich durch eine leichte Süße aus. Ebenso gelungen auch die anderen Beilagen.

Rote-Bete-Tatar auf Bulgur. Erfrischend, pikant, mit leichter Schärfe. © Foto/ BU: Fritz Hermann Köser, Ort und Datum der Aufnahme: Berlin, 6.11.2025
Confiertes Filet vom Winterkabeljau, leicht und bekömmlich. © Foto/ BU: Fritz Hermann Köser, Ort und Datum der Aufnahme: Berlin, 6.11.2025

Erneut laden die Gastgeber, die beiden Top-Gastronomen Kolja Kleeberg und Hans-Peter Wodarz, im Palazzo zu ihrer Dinner-Show ein. Erneut ein ausgelassenes Fest für alle Sinne. Im festlichen Spiegelzelt, nahe dem „Bahnhof Zoo“ in Berlin. Passend zur Hauptstadt mit den vielen Clubs, Bars und Kneipen lautet der Name der neuen Programms „Nachtschwärmer“. Die können weitaus mehr als nur feiern. Bieten sie doch moderne atemberaubende Akrobatik, vollendete Körperkunst und unverwechselbare Comedy. Ferner großartigen Gesang samt einer mitreißenden Live-Band.

„Nachtschwärmer“ ist eine Hommage an ein Leben zwischen Barhockern und Balladen. An eine Nacht, in der sich Fremde begegnen und Geschichten beginnen, irgendwo zwischen Zufall und Schicksal. Im Zentrum steht eine Bar. Ein Ort voller Sehnsucht, Geheimnisse und ungeplanter Begegnungen. Hier, irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit, treffen sie alle aufeinander: die Leisen und die Lauten, die Suchenden, die Spielenden, die Liebenden. Jeder bringt eine Geschichte mit, eine Haltung, ein Geheimnis. Und mit jedem Auftritt entfaltet sich mehr von dieser besonderen Nacht.

Zwei begnadete Stimmen aus Großbritannien und Südafrika. © Foto/ BU: Fritz Hermann Köser, Ort und Datum der Aufnahme: Berlin, 6.11.2025

Chastity Belt, Besitzerin mit Vergangenheit, Charme und gebrochenem Herzen, lässt die Gläser gern mal unbeachtet, wenn sie sich als Moderatorin und Sängerin wieder in Tagträumen über die große Liebe verliert. Derweil sorgt ihr Barkeeper Kerol mit Taktgefühl und Jonglierkunst dafür, dass der Laden nicht völlig aus dem Ruder läuft. Zwischen Cocktailshakern und Beatboxing gibt er den Rhythmus vor – laut, präzise und immer ein bisschen schneller als der Rest. Aleksey Teslin dagegen ist der geheimnisvolle, zurückgezogene Barbesucher, der mit seinem Diabolo in einem eigenen Rhythmus zu leben scheint.

Mario Español erklimmt mit tänzerischer Kraft den chinesischen Mast. Schreibt mit jeder Bewegung seine Geschichte. Polina Makarova zeigt mit großer Körperbeherrschung und feinem Gespür für Bewegung eine ebenso kraftvolle wie anmutige Equilibristik. Auf dem flexiblen Schlappseil begeistert Tonghui Ni mit beeindruckender Kontrolle, exakter Technik und feiner Balance. Seine Darbietung verbindet klassische chinesische Akrobatik mit klarer Form und fokussierter Präsenz.

Auf dem flexiblen Schlappseil begeistert Tonghui Ni mit exakter Technik. © Foto/ BU: Fritz Hermann Köser, Ort und Datum der Aufnahme: Berlin, 6.11.2025
Aleksey Teslin scheint mit seinem Diabolo in einem eigenen Rhythmus zu leben. © Foto/ BU: Fritz Hermann Köser, Ort und Datum der Aufnahme: Berlin, 6.11.2025
Polina Makarova zeigt eine ebenso kraftvolle wie anmutige Equilibristik. © Foto/ BU: Fritz Hermann Köser, Ort und Datum der Aufnahme: Berlin, 6.11.2025

Frédérique Cournoyer-Lessard wirkt ganz wie der intellektuelle, in sich gekehrte Gast mit dem Philosophie-Schmöker in der Ecke. Doch dann nimmt sie die Brille ab und zeigt eine ganz andere Seite. Wunderbare Darbietungen am Luftring, poetisch, aber auch gewagt. Auch Rosa Autio bringt mit schrägem Charme und einer gekonnten Fußjonglage Bewegung in die Nacht. Ihre Clownerie verbindet Leichtigkeit mit einer Prise Melancholie.

Und dann erklingt Yamisavas Stimme. Aus dem Hintergrund kommend, füllt sie plötzlich den Raum – weich, tief, ehrlich. Afro- Soul, der wie ein Gespräch mit der eigenen Seele klingt und die Nacht einen Moment lang anhält. Der Sänger stammt aus dem Herzen Sowetos und gilt als eine der vielversprechendsten Stimmen Südafrikas.

Mit viel Gespür und einem breiten Repertoire begleiten „The Geschmacksverstärkers“ den Abend live. Die musikalischen Stammgäste des Berliner Palazzo sorgen auch in dieser Saison für den passenden Soundtrack zu einer unvergesslichen Nacht.

Genuss pur. Für Augen und Ohren. Und für den Gaumen. Schließlich braucht jeder Nachtschwärmer schon wegen der vielen Drinks eine gute Grundlage. Die bieten Kolja Kleeberg und sein Team mit einem erneut fantastischen Menü. Fulminant schon der Start. Rote-Bete-Tatar auf Bulgur, dazu eingelegter Rettich, Sauerrahm und Pumpernickel-Erde. Erfrischend, pikant, mit leichter Schärfe. Und etwas Süße, dank einer kandierten Orangenscheibe. Sehr kreativ, sehr pfiffig. Diese Idee führt zu einem wahren Fest diverser Aromen, die bei allen Unterschieden perfekt harmonieren. So gerät eine bloße Vorspeise zu einem absoluten Höhepunkt, was bei den anwesenden Gästen für wahre Begeisterung sorgt.

Zart und saftig: zweierlei von der Ente, Brust und confiertes Ragout. © Foto/ BU: Fritz Hermann Köser, Ort und Datum der Aufnahme: Berlin, 6.11.2025

Auch beim Hauptgericht zeigt die Küche ihr ganzes Können. Zweierlei von der Ente, Brust und confiertes Ragout, mit Macaire-Kartoffeln, Romanesco, grünem Spargel und Honig-Rosmarin-Jus. Die Brust, rosa-rot gebraten, erweist sich als herrlich zart und saftig. So wie das confierte Ragout. Für beides bilden die Macaire-Kartoffeln, perfekt gegart und vollendet gewürzt, die ideale Beilage.

Bei allen Kalorien und Kohlenhydraten, die Vitamine kommen ebenfalls nicht zu kurz. Dafür sorgt neben grünem Spargel ein weiteres, ebenso grünes Gemüse. Romanesco. Wirklich nicht von der Stange, diese kegelförmige Variante des Blumenkohls. Zudem viel ansprechender als der als etwas fade verschriene „große Bruder“. Optisch wie geschmacklich. Kleiner, aromatischer, vor allem noch gesünder. Enthält das ursprünglich aus der Nähe Roms stammende Gemüse doch besonders viel Vitamin C und gilt als extrem bekömmlich.

Schokoladen-Pistazien-Soufflé mit Nougat-Eis. Mächtig, aber sehr köstlich. © Foto/ BU: Fritz Hermann Köser, Ort und Datum der Aufnahme: Berlin, 6.11.2025

Eigentlich ist kaum noch Raum für das Dessert. Schokoladen-Pistazien-Soufflé mit Nougat-Eis. Köstlich, aber auch mächtig. Wäre da nicht der pikante Piña-Colada-Chili-Salat. Diese Kreation, so originell wie ausgezeichnet, verleiht dem Ganzen eine angenehme Leichtigkeit.

Erlesene Weine begleiten das Menü, etwa der weiße Riesling „No. 9“ von 2024 vom Weingut Tina Pfaffmann aus der Pfalz oder der rote Magnetic Tinto von 2023 vom Weingut „Torrees Icons“ aus dem spanischen Katalonien. Ferner stillen gleich mehrere Biersorten den Durst. Unter anderem Paulaner Original Münchner Hell vom Fass, nebst diversen Softdrinks, Mineralwassern und Kaffee-Spezialitäten.

War das ein gelungener Abend? So müsste eigentlich die letzte Frage beim Kneipen-Quiz lauten. Die Antwort dürfte relativ einfach sein: Na klar, und wie.

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